Qualitative Bewertungsmethoden für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU’s)

qualitative Unternehmensbewertung

Für die Ermittlung von Unternehmenskaufpreisen gibt es zahlreiche quantitative Bewertungsmethoden wie z.B. das Ertragswertverfahren, das Discounted-Cash-Verfahren, das EBIT-Multiplikationsverfahren oder verschiedenste Mischverfahren von Ertrags- und Substanzwert. Alle diese Bewertungsmethoden haben eines gemeinsam: Sie sind normiert und es gibt klare Anwendungsregeln und Berechnungsformeln. Dadurch wird eine universelle Gültigkeit und Richtigkeit der Bewertungsergebnisse suggeriert. Allerdings spielen bei kleinen und mittleren Unternehmen oft qualitative Unternehmensmerkmale eine wert- und preisbildende Rolle, die keinerlei Berücksichtigung in den rein quantitativen Bewertungsmethoden finden. Wir widmen uns in diesem Beitrag entsprechend den Fragen: Was sind qualitative Bewertungsmethoden und welchen Einfluss nehmen Sie auf den letztendlich erzielbaren Kaufpreis bei KMUs?

1) Qualitative Bewertungsmethode: Analyse der Abhängigkeiten

Abhängigkeiten können einen erheblichen Einfluss auf den Unternehmenskaufpreis haben. Wir haben hier die wesentlichen und preisrelevanten Abhängigkeitsebenen definiert und führen einige Beispiele für deren positiven und negativen Einfluss auf den Kaufpreis auf. Auch diese Beispiele sind nicht allgemein gültig und auf jedes Unternehmen eins zu eins anwendbar. Dennoch gilt grundsätzlich: Ein Unternehmen mit geringeren Abhängigkeiten wird in der Regel immer einen besseren Kaufpreis erzielen.

 

AbhängigkeitenPositivNegativ
Inhaber
  • Nicht mehr 100% aktiv
  • Nur administrative Geschäfts-leitungsaufgaben
  • Tagesgeschäft weitestgehend an Mitarbeiter übergeben

 

  • Inhaber arbeitet 15 Stunden 7 Tage pro Woche
  • Inhaber trifft alle (technischen) Entscheidungen
  • Inhaber hält alle Kundenkontakte
  • Inhaber ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet

 

Kunden
  • Zahlreiche Kunden
  • Breite Kundendiversifikation
  • Größter Einzelkunde weniger als 5%
  • Vertraglich gesicherte und mehrjährige Verträge

 

  • Wenige Kunden (< 10)
  • Größter Kunde mehr als 30%

 

Lieferanten
  • Mehrere Lieferanten
  • Im Inland ansässig
  • Exklusivität auf Produkte

 

  • Nur ein Hauptlieferant
  • Währungsrisiken
Produkte
  • Guter Mix zwischen alten und neuen Produkten
  • Verschiedene Produkt- oder Dienstleistungssegmente

 

  • Überaltertes Produkt
  • Neuentwicklung nötig

 

Branchen
  • Verschiedene Branchen

 

  • Abhängig von aussterbender oder schrumpfender Branche

 

 

Anwendung der Bewertungsmethode:

Unternehmen sollten anhand der genannten Abhängigkeitskriterien bewertet werden. Hierbei sollte der Bewertungsmaßstab die Käuferperspektive sein. Zu diesem Zweck haben wir anhand von vier wesentlichen Punkten definiert, was ein Käufer „idealerweise“ im Rahmen des Unternehmenskaufs sucht:

 

  • Ein Inhaber unabhängiges Unternehmen, das er erfolgreich ohne den scheidenden Inhaber fortführen kann. Kurz gesagt: Ein stabiles, sicheres und profitables System.
  • Keine Abhängigkeit von einzelnen Kunden und Lieferanten.
  • Fertig entwickelte und eingeführte Produkte oder Dienstleistungen, die noch eine vielversprechende Zukunft vor sich haben.
  • Kein Unternehmen in einer aussterbenden, stagnierenden oder schrumpfenden Branche.

 

2) Qualitative Bewertungsmethode: Analyse der Verkaufsvorbereitung

Jedes Unternehmen ist individuell und die Verkaufsvorbereitung eines Produktionsfirma unterscheidet sich erheblich von den Verkaufsvorbereitungen einer Werbeagentur. Dennoch gibt es einige Kriterien, die in den meisten Fällen den Kaufpreis beeinflussen. Auch hier haben wir positive und negative Randbedingungen gegenübergestellt.

 

BereichPositivNegativ
Team
  • Eingespieltes und langjährig zusammenarbeitendes Team
  • Geringe Fluktuationen in der Belegschaft
  • Viele Know-how-Träger
  • Verteilte Verantwortung
  • Keine Mitarbeiter
  • Kürzliche Kündigung von Know-how-Trägern
  • Kommender Abgang des Verkäufers kann nicht vom Team abgefangen werden
Organisation
  • Ausgeprägte Struktur mit Organisationschart dargestellt
  • Abteilungsleiter und Teamleiter
  • Verkaufsleiter
  • Externer Geschäftsführer

 

  • Kein Organisationschart
  • Komplizierte Strukturen
  • Viele Familienmitglieder des Verkäufers in zentralen Positionen

 

Prozesse & EDV
  • Qualitätssicherung durch etablierte Prozesse
  • EDV-gestützte Infrastruktur
  • IT-Programme für Buchhaltung, Vertriebsmanagement, Service, Produktion oder Lagerhaltung
  • Keine Dokumentation
  • Alles ohne EDV
  • Know-how nur in den Köpfen der Mitarbeiter oder der Inhaber
  • Inhaber hat alle IT-Systeme selbst programmiert
Unternehmensphase
  • Länger als 5 Jahre am Markt etabliert
  • Gut eingeführte Produkte
  • Kontinuierliches Wachstum

 

 

  • Start-ups
  • Schrumpfende Umsätze im Verkaufsjahr
  • Über mehrere Jahre Umsatzrückgang
  • Umbruch des Geschäftsmodells oder im Team
Umsatzmix
  • Hohe wiederkehrende Umsätze, z.B. durch Abonnent oder langfristige Service-Verträge
  • Hoher Umsatzanteil von Stammkunden
  • Nur projektbezogene Umsätze
  • Ausschließlich Neukunden-Umsätze
Dokumentation
  • Umso transparenter, umso besser
  • Viele Statistiken über Kunden und Produkte
  • Betriebshandbuch
  • ISO, Zertifizierung
  • Organisierte Ablage

 

  • Keine transparenten Unterlagen
  • Keine Statistiken
  • Keine standardisierten Prozesse
  • Know-How nur in den Köpfen

 

Auftritt
  • Guter Internet- und Markenauftritt
  • Attraktives Design

 

  • Veralteter Internetauftritt
  • Selbstgebastelte Website
  • Selbst erstellte Broschüren

 

Anwendung der Bewertungsmethode:

 Ein Unternehmen sollte anhand der oben genannten Ebenen bewertet sein. Auch hier kann der Bewertungsmaßstab nur die Käuferperspektive sein. Dafür haben wir definiert, was ein Käufer „idealerweise“ im Rahmen des Unternehmenskaufs sucht:

  • Ein eingespieltes und funktionsfähiges Team mit vielen Leistungsträgern mit einem erprobten und funktionierenden Geschäftsmodell.
  • Ein effizientes und effektives Abwicklungssystem mit einer funktionierenden Infrastruktur (Team, Organisation, Prozesse, IT und Marketing).
  • Umso transparenter und attraktiver die Firma dargestellt werden kann, umso geringer erscheinen die Risiken für einen Käufer und umso höher ist der Preis.
  • Transparenz, eine gute Struktur und Dokumentation führen zu Vertrauen und einem höheren Preis.
  • Hohe widerkehrende Umsätze (in Form von Abonnements) oder langfristige Service Verträge.

 

3) Qualitative Bewertungsmethode: Die Attraktivitätsanalyse

Die Attraktivität liegt immer im Auge des Betrachters, in diesem Fall also des Käufers. Im Wesentlichen können alle externen Käufer in drei Gruppen eingeteilt werden. Alle diese drei Käufergruppen haben ihre Eigenarten und oft ganz unterschiedliche Interessen und Vorgehensweisen beim Erwerb von Unternehmen. Die nachfolgende kurze Aufstellung verschafft einen Überblick zu den Unterschieden der drei verschiedenen Interessenslagen:

 

 PrivatinvestorStrategischer InvestorFinanzinvestor
Akquisegrund
  • Existenzsicherung
  • Einbringung von vorhanden Fähigkeiten
  • Der eigene Chef sein
  • Ausbau der eigenen strategischen Position
  • Realisierung und Umsetzung von Unternehmenszielen
  • Schaffung von Synergieeffekten
  • Geld verdienen und Gewinnoptimierung
  • Zukauf zur Stärkung von Portfolio Unternehmen
Zukünftige strategische Richtung
  • Aufbau und Fokus auf aktuelle Strategie
  • Ggf. Einbringung der Kenntnisse, Fähigkeiten und Kontakte des Käufers
  • Sukzessive Veränderung und Anpassung
  • Integration in die bestehende Organisation
  • Nutzung von Größeneffekten und Kostenoptimierung
  • Nutzung von zusätzlichem Umsatz- und/oder Absatzpotential
  • Entwicklung von neuen Produkten
  • Buy & Build-Strategie
  • Fokus auf Wertwertschöpfung und Wachstum
  • Betriebliche Optimierungen
  • Fokus auf Kerngeschäft und abstoßen von Randgeschäften
  • Internationalisierung
Unternehmensführung
  • Der Unternehmenskäufer (Neuinhaber) führt normallerweise die Geschäfte
  • Integration in bestehende Strukturen
  • Käufergesellschaft stellt in der Regel den neuen Geschäftsführer
  • Minderbeteiligung des Managements
  • Teilweise Einsatz eines Fremdgeschäftsführers
Investment-horizont
  • Langfristig ohne konkrete Verkaufsabsichten
  • Langfristig, aber Strategie abhängig
  • Zwischen drei bis sieben Jahren
Transaktionsvorgehen
  • Oft unerfahren
  • Geringe Anzahl von Beratern
  • Nur kleine und einschränkte Betriebsprüfung
  • Kaufvertrag eher zu Gunsten des Verkäufers

 

  • Interne M&A-Experten und Zuzug von externen Spezialisten für Betriebsprüfung und Kaufvertrag
  • Besitzt meist umfassende Branchenkenntnis
  • Lange und bürokratische Entscheidungsprozesse
  • Oft wird eine Kaufpreis-Prämie für Synergien bezahlt
  • Umfangreiche Betriebsprüfung und Integrations-Planung
  • Professionell
  • Hauptsächlich externe Berater
  • Detaillierte Finanzplanung und Cash-Flow-Analyse
  • Umfangreiche Garantien

 

Eine eingehende Analyse der oben beschriebenen Käufermerkmale ermöglicht die Ableitung von Investitions- bzw. Attraktivitätskriterien der einzelnen Käufergruppen. Die nachfolgende Tabelle versucht, wesentliche qualitative Kriterien für die Käufergruppen zu definieren, nach denen die Attraktivitätsanalyse durchgeführt werden kann.

 

 PrivatkäuferStrategischer InvestorFinanzinvestor
InhaberabhängigkeitKompensation durch KäuferNeutralUnattraktiv
MitarbeiteranzahlUnerheblichNeutralGrößer 25, eher 50
Cashflow-HöheDefiniert
Finanzierungskapazität
NeutralWichtig
Arbeitseinsatz des UnternehmersSehr wichtigNeutralWichtig
VerkaufsstoryWichtigNeutralWichtig
WachstumsaussichtenVon BedeutungSehr wichtigSehr wichtig

 

Anwendung der Bewertungsmethode:

Die zu bewertende Gesellschaft wird nach den oben aufgeführten Kriterien bewertet. Anschließend wird für alle drei Käufergruppen eine Attraktivitätsbewertung für jedes einzelne Kriterium durchgeführt. Die Bewertung erfolgt in den Ampelfarben, wobei die jeweiligen Farben folgende Bedeutung haben:

 

KriteriumZahlenbeispiel GesellschaftBewertungsmethode KäufergruppeBedeutung
InhaberabhängigkeitGering HDie Gesellschaft ist bezüglich dieses Kriteriums sehr attraktiv für die Käufergruppe.
Mitarbeiteranzahl20-25 HOrange gilt als neutrale Einschätzung und somit auch nicht als unbedingter Transaktionsgrund oder Deal-Breaker.
Cashflow Höhe300-400 TEUR HEine rote Einschätzung wird in dieser Bewertung als Deal-Breaker gesehen. Das heißt, dass eine Transaktion daran scheitern oder zu erheblichen Preisabschlägen führen könnte.

 

 

Warum bleiben qualitative Unternehmensmethoden oft nicht berücksichtigt?

Die qualitativen Bewertungskriterien sind leider nicht normiert oder standardisiert. Des Weiteren werden qualitative Faktoren in der akademischen Praxis sowie im Bereich Corporate Finance (also bei größeren Konzerntransaktionen) unzureichend oder gar nicht berücksichtigt. Die Gründe für die fehlende Berücksichtigung sind schnell erklärt:

 

  1. Größe spielt eine Rolle: Bei größeren Transaktionen spielen Abhängigkeiten (wie z.B. vom Inhaber, Kunden und Lieferanten) oder notwendige Verkaufsvorbereitungen (schöne Website, standardisierte Prozesse oder EDV-gestützte Systeme) ein kleinere Rolle. Dies liegt daran, dass mit der Größe einer Unternehmung viele diese Faktoren Voraussetzung für die Skalierung waren und bereits aktiv adressiert wurden und somit diese Faktoren den Unternehmenswert nicht maßgeblich beeinflussen.
  1. Erfahrungsmangel: Des Weiteren haben viele Gutachter, wie z.B. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Professoren, wenig bis keine Erfahrung mit Firmenverkäufen mit kleineren und mittelständischen Betrieben und können ihre Erfahrungen somit nicht mit den quantitativen ermittelten Werten vergleichen.
  1. Fehlende Neutralität: Darüber hinaus steht eine subjektive qualitative Bewertung dem Wunsch nach einer klaren formeltechnischen „quasi“ neutralen Ermittlung und einer finalen Zahl als Wertbestimmung entgegen.

 

Auch mit jahrelanger Erfahrung im Bereich von Firmenverkäufen kann man die qualitativen Faktoren nicht „seriös“ formelmäßig und universell gültig in Hinblick auf ihren Beitrag und Einfluss eins zu eins auf den finalen Unternehmenskaufpreis beurteilen oder angeben. Dennoch sollte jeder Käufer oder Verkäufer sich dieser Faktoren bewusst sein und bei der optimalen Preisstrategie und den anstehenden Verhandlungen zu seinem Vorteil berücksichtigen, da sie den Wert und Kaufpreis eines KMU maßgeblich beeinflussen.

 

Fazit qualitative Bewertungsmethoden:

Für die Ermittlung der Kaufpreise von KMUs sollte als Bewertungsmethode nicht nur eine formelmäßige quantitative Berechnung erfolgen, da diese Werte in aller Regel preis- und wertbildende qualitative Faktoren unberücksichtigt lassen. Es sind somit eher theoretische Werte anstatt wirkliche Marktpreise für Unternehmen. Wir haben in diesem Artikel drei qualitative Bewertungsmethoden aufgeführt. Diese sind nicht als individuelle Alternativen und Bewertungsmethoden zu betrachten, sondern in einem gesamt Bewertungskontext mit den quantitativen Bewertungsergebnissen zu plausibilisieren. Die richtige Auswahl der wesentlichen Faktoren bedarf jahrelanger Erfahrung im Verkauf von KMUs. Deshalb empfehlen wir verkaufswilligen Verkäufern bei der Kaufpreisfestlegung einen erfahrenen und langjährig erprobten Unternehmensverkäufer als Berater zu konsultieren.